Biografie

Carl H. Hahn,
Europäischer Industriemanager, geb. 1926 in Chemnitz

Carl Horst Hahn entstammt einer Industriellenfamilie, die bereits mit den Anfängen des Automobilbaus in Deutschland verbunden war. Sein Vater, seit 1922 am Aufstieg von DKW zur führenden Motorradfabrik der Welt wesentlich beteiligt, gehörte 1932 zu den Mitbegründern der Auto Union aus dem Zusammenschluss von Audi, Wanderer, Horch und DKW. Nach dem Abitur studierte Hahn Wirtschaftswissenschaften in Deutschland, der Schweiz und England sowie Politikwissenschaften in Frankreich. 1952 promovierte er in Bern mit summa cum laude zum Dr. rer. pol., studierte daraufhin Italienisch und Kunstgeschichte in Perugia, um anschließend bei Fiat in Italien zu volontieren.

In meinem Büro im Kunstmuseum Wolfsburg

Es folgte ein Jahr bei der OECD in Paris als Administrateur der European Productivity Agency, bevor er im Dezember 1954 zu Volkswagen nach Wolfsburg wechselte, wo Hahn zunächst als Assistent des legendären VW-Chefs Heinrich Nordhoff arbeitete. Von 1959 bis 1964 leitete er die „Volkswagen of America“ und eroberte mit dem VW-Käfer die USA. Hahn hatte in dieser Zeit wesentlichen Anteil an den außergewöhnlichen Exporterfolgen des Volkswagen-Konzerns in Richtung Nordamerika, was ihn 1964, mit 38 Jahren, in den VW-Vorstand führte. Neun Jahre später, 1973, übernahm er den Vorstandsvorsitz der Continental Gummi-Werke AG in Hannover – nachdem er bei VW wegen Strategiedifferenzen ausgeschieden war – und führte diesen Reifenhersteller zu einem erfolgreichen Turnaround. Aus einem rein deutschen Unternehmen war unter seinem Vorsitz ein führender globaler Anbieter von Reifen- und technischen Gummiprodukten entstanden. Heute zählt die Continental AG zu den drei größten Automobilzulieferern der Welt.

1982 folgte Hahn dem Ruf zurück zu Volkswagen nach Wolfsburg, wo er 11 Jahre lang das Amt des Vorstandsvorsitzenden ausübte. Seine erneute Berufung war aus genau jenen Gründen erfolgt, die 9 Jahre zuvor zu seiner Entlassung bei VW geführt hatten. Mit Hahns Namen sind die erfolgreichen Nachfolgemodelle des Käfers und der Aufstieg von Audi in die Premiumklasse verbunden. Er gilt als einer der Väter der Generation Golf sowie einer erfolgreichen Divisionalisierungspolitik. Mit seinen strategischen Entscheidungen stellte Hahn die Weichen für den Aufstieg des Volkswagen-Konzerns zum Global Player. Neue Produktionsstätten in China, Spanien, Portugal sowie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn, die im Zuge seiner Globalisierungspolitik entstanden, schufen das Fundament auf dem der Volkswagen-Konzern zu dem wurde, was er heute ist – einer der weltgrößten Automobilhersteller. Oft betrat Hahn dabei Neuland und eilte – wie im Falle China und Zentraleuropa – der Konkurrenz um Jahre voraus. Ein besonderes Anliegen war ihm der Neuanfang an den alten Produktionsstätten der Automobilindustrie in Zwickau und Chemnitz. VW wurde nach der Wende durch sein dortiges Engagement zum größten Investor in Ostdeutschland. Unter Hahns Vorsitz wurden überdies wichtige Kooperationsverträge mit Ford in Südamerika und Portugal, Toyota für Pick-up-Fahrzeuge in Europa sowie Suzuki im Kleinwagensegment geschlossen.

1985 überschritten die Umsatzerlöse des VW-Konzerns erstmals die 50-Milliarden-DM-Grenze. Durch den Kauf der spanischen Marke SEAT im Jahr darauf baute der Volkswagen-Konzern seine europäische Basis konsequent aus und avancierte zum Marktführer in Europa. Ende 1990 stieg VW bei den tschechischen Škoda-Werken ein, die neben VW, Audi und Seat zur vierten Marke im Konzern wurden. Parallel dazu wurde 1991 eine neue Konzernstruktur verfügt mit einer strikten Trennung von Konzern- und Markenleitung. Ende 1992 übergab Hahn sein Amt als Konzernchef an den bisherigen Audi-Chef Ferdinand Piëch und wechselte in den Aufsichtsrat des Unternehmens, dem er bis Juni 1997 angehörte.

Nach seinem Ausscheiden als Vorstandsvorsitzender bei VW übernahm Hahn von 1993 bis 1996 bei der Schweizer Maschinenbaugruppe Saurer AG in Arbon das Amt des Verwaltungsratspräsidenten. Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Reykjavik Geothermal Ltd., einem Pionierunternehmen auf dem Gebiet der Stromerzeugung aus Geothermie. Hahn war ferner Aufsichtsratsmitglied in zahlreichen europäischen und amerikanischen Unternehmen, darunter Bata, Benetton, British Petroleum, Commerzbank, DAF, Gerling, Paccar, ThyssenKrupp, TRW und Perot Systems. 1999 erhielt er in den USA die Auszeichnung eines „Corporate America´s Outstanding Directors“. Hahn ist Ehrenvorsitzender im Aufsichtsrat der Konzern-Marken Audi, Seat und Skoda. Hahn ist darüber hinaus Honorarprofessor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau (FH) und an der Staatlichen Universität für Bauwesen, Transport und Architektur (Fakultät für Software-Engineering), Bishkek, Kirgistan, sowie Mitglied des Vorstands des Lauder Instituts der Wharton School/University Pennsylvania, des internationalen Beratergremiums des Salk Instituts, Kalifornien, des Instituto de Empresa, Madrid, des Instituto Internacional San Telmo, Sevilla sowie der International Conference on Genomics, Shenzhen (China). Von 1996 bis 2005 war er Berater des Präsidenten der Republik Kirgistan, Askar Akajev, in Wirtschaftsfragen.

Hahn initiierte das Kunstmuseum Wolfsburg, dessen Kuratorium er angehört, und ist in zahlreichen politischen, kulturellen und sozialen Organisationen tätig. Dazu gehören u. a. Mitgliedschaften im Kuratorium bzw. Vorstand der Antonius Holling Stiftung, der Mayo Clinic Stiftung in Deutschland sowie im Stiftungsrat der Volksbank BraWo Stiftung. Er sitzt ferner im Beirat der Saxony International School – Carl Hahn gemeinnützige GmbH, Glauchau und ist Mitglied der Berlin British School. Hahn übernahm überdies in den vergangenen Jahren eine Reihe von Schirmherrschaften, mit denen er sich für unterschiedliche Belange einsetzte. 2006 gründete er die Familie Carl H. Hahn-Stiftung, die im Gedenken an die im Juni 2013 verstorbene Stifterin, Marisa Hahn, in Carl und Marisa Hahn-Stiftung umbenannt wurde. Mit dem im Juli 2016 ins Leben gerufenen Carl Hahn-Stipendium soll im Rahmen der Stiftungsarbeit herausragenden jungen Menschen aus dem Einzugsgebiet von Volkswagen in Wolfsburg ein Studium in Wirtschaft oder Technik ermöglicht werden.

Zehn Hochschulen des In- und Auslandes zeichneten Hahn mit akademischen Würden aus. Österreich, Belgien, Brasilien, Italien, Spanien, Südafrika, Kirgistan, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik und die Bundesrepublik Deutschland sowie Niedersachsen und Sachsen verliehen ihm hohe Orden. Er ist ferner Ehrenbürger von Wolfsburg, Chemnitz, Zwickau und Changchun in China.

2005 veröffentlichte Hahn seine Memoiren unter dem Titel „Meine Jahre mit Volkswagen“, die 2007 auch in der Volksrepublik China erschienen. Überdies liegen eine russische und tschechisch-slowakische Ausgabe vor. 2016 veröffentlichte Hahn mit Co-Autor Peter Kirchberg das Buch „DKW Hahn“. Es ist eine Reminiszenz an seinen Vater, der maßgeblich am Aufstieg von DKW zur größten Motorradfabrik der Welt beteiligt war und 1932 zu den Mitbegründern der Auto Union gehörte, aus der nach dem Zweiten Weltkrieg die heutige Audi AG in Ingolstadt hervorging. Daneben erschienen von Hahn „Der Schuman-Plan – Eine Untersuchung im besonderen Hinblick auf die deutsch-französische Stahlindustrie“ (1953) sowie zahlreiche Beiträge und Aufsätze in Büchern und anderen Publikationen, u. a. in „International Capital Flows“ von Martin Feldstein, in „Jahrgang 1926/27 – Erinnerungen an die Jahre unter dem Hakenkreuz“, herausgegeben von Alfred Neven DuMont, in „Focus on Evidence – Fremdsprachendidaktik trifft Neurowissenschaften, herausgegeben von Heiner Böttger/Michaela Sambanis sowie in „Ugly Is Only Skin-Deep – The Story of the Ads That Changed the World“ von Dominik Imseng.

2006 wurde Hahn in die European Automotive Hall of Fame gewählt.

Hahns große internationale Erfahrungen machen ihn zu einem gefragten Redner auf Konferenzen im In- und Ausland.

Aus der Ehe mit seiner 2013 verstorbenen Frau Marisa, geborene Traina, einer Amerikanerin, gingen vier Kinder und neun Enkelkinder hervor.